Die im Studium vermittelte Architekturgeschichte nimmt in/direkt Einfluss auf die architektonische und städtebauliche Praxis: auf das Denken, Entwerfen und Bauen der Architekturschaffenden und damit auf unseren Kultur- und Lebensraum. Die Erzählungen im Fach Architekturgeschichte bewegen sich meist zwischen Bau- und Alltagskunst. Mit Baukunst sind repräsentative Bauten gemeint, die den traditionell kunsthistorisch geprägten Kanon dominieren. Mit Alltagskunst sind Wohnbauten und andere Raumstrukturen gemeint, die im gegenwärtig v. a. soziologisch geprägten Diskurs von großem Interesse sind. Was und wie gebaut wird oder wer für wen baut schließt immer auch Machtfragen und -gefälle mit ein. Die Vermittlung von Architekturgeschichte ist demnach nicht in der selbstreferentiellen Vermittlung eines gegebenen Kanons zu suchen.
Um die gebaute und damit den Menschen prägende Umwelt lesen und verstehen zu können, bedarf es Vorkenntnissen. Erkenntnisse aus der Vergangenheit vermitteln uns Wissen und Werte für die Gegenwart, diese bilden die Grundlage und Bedingung für eine kritische und reflexive Zeitdiagnose, die dem praktischen Handeln vorausgeht. Für die Architekturpraxis ist die Architekturgeschichte also von eminent wichtiger Bedeutung, denn erst durch sie können komplexe gesellschaftliche Vorgänge und ihre Zusammenhänge nachvollzogen, untersucht, verstanden und letztlich verändert/verbessert werden. Ein Grund zur Beschäftigung mit Geschichte betrifft also die Befähigung zur Zukunftsgewandtheit. Die Architekturgeschichte und -theorie berührt damit auch den Entwurfsprozess von Architektur unmittelbar. In der Gestaltung von Architektur und Stadt werden die großen Fragen unserer Zeit aufgeworfen und es wollen Antworten gefunden oder zumindest soll ein Umgang damit versucht werden, wie z. B. Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und nicht zuletzt der gerade erst begonnene Prozess der Dekolonialisierung. Architekturgeschichte ist m. E. auch nur im Dreiklang von Geschichte/Theorie/Kritik zu verstehen. Oder, vom Ende hergedacht: Lehre soll gute Architekt:innen hervorbringen … dazu bedarf es kritischen Geistern, die theoretische Grundlagen benötigen, wozu Geschichtskenntnisse nötig sind!