Ein rasender Reporter interviewt eine Gruppe von Arbeiter*innen und Angestellten auf dem Vorplatz ihrer Fabrik, so startet der Film:
Reporter: Ihr Chef hat seine Fabrik den Arbeitern geschenkt. Wie finden Sie das? Was halten Sie davon? Das ist eine ungeheure Sache, was Ihr Chef da gemacht hat!?
Arbeiter 1: Ja, natürlich.
R: Kann man auf diese Weise nicht eine Revolution verhindern, die sonst irgendwann einmal ausbrechen könnte?
A 1: Kann sein.
R: Aber mit dem was Ihr Chef getan hat, steht er allein da. Könnte es nicht sein, dass heute in der modernen Welt, viele seinem Beispiel folgen?
A 2: Ja, das wäre schon richtig, da müsste es hingehen.
R: Wenn man es mal als Symbol einer neuen Machtverteilung ansieht, dann könnte das, was hier geschehen ist, ein erster Beitrag zu einer Umwandlung der Gesellschaft in lauter kleine Kapitalisten sein.
A 3: Ich glaube nicht, dass es den Kapitalisten gelingt, aus allen Menschen Kapitalisten zu machen. Das glaube ich nicht.
R: Das wäre allerdings die Voraussetzung, sonst hat es keinen Sinn.
[Gruppe lacht]
R: Sie meinen also, dass ein Arbeitgeber, wenn er seine Fabrik den Arbeitern schenkt, oder sonst was tut, den falschen Weg geht!? Meinen Sie das auch?
A 4: Ich sage nichts.
R: Der Kapitalismus müsste seine Lage grundsätzlich revolutionär verändern. Wenn es dem Kapitalismus gelingt, alle Menschen mit sich in Übereinstimmung zu bringen, dann wird er auch keinen Klassenkampf zu führen brauchen; nicht mit der Armee, nicht mit dem Volk und auch mit der Kirche nicht.
A 5: Er würde also verlieren, weil er seine alten Verbündeten verlieren würde?
R: Er steht doch vor ganz neuen Problemen und in einer Situation, die nicht mehr der alten Form des Kapitalismus entspricht, muss er diese Probleme lösen.
A 6: Ja, sicher.
R: Aber? Kann er diese Probleme lösen? Kann er sie lösen?
Pasolinis Film fasziniert, weil er die Vielschichtigkeit des gesellschaftlichen Aufbruchs um 1968 einfängt. Und zwar so: Ein junger, lesender Student gastiert bei einer großbürgerlichen Industriellenfamilie. Durch seine Anwesenheit bringt er ihre gesamte Daseinsstruktur durcheinander. Alle Beteiligten lassen sich von seiner puren Präsemz verführen und nähern sich ihm mit erotischer Neugierde: zuerst das Hausmädchen, dann der Sohn, die Tochter, eine Freundin des Hauses und schließlich die Frau des Hauses/Mutter. Er spielt mit ihnen, fast passiv. Der Hausherr/Vater wird dazu parallel auch verführt, aber nicht körperlich, sondern politisch-erratisch. Das Leben aller verändert sich. Dann verschwindet der Student, worauf alle Beteiligten ausgesprochen irritiert reagieren: das Hausmädchen tritt in Hungerstreik und stirbt; die Tochter durchlebt höchst manisch-depressive Episoden und landet in der Psychiatrie; der Sohn stellt sich die großen Lebensfragen, verliert sich im Schöngeistigen und wird Künstler; die Mutter reiht auf der Suche nach Befriedigung eine Liebesaffäre an die andere; und der Vater, der nicht-körperlich Verführte, entscheidet sich auf dem Weg seiner Lebenssinnsuche dafür die eigene Fabrik seinen Arbeiter*innen und Angestellten zu überlassen.
Der Student steht für das utopische Bewusstsein der 1968er, so meine Interpretation, die auch bei der bürgerlichen Gesellschaft ankommt und sie aufmischt. Er ist die personifizierte Energie bzw. Kraft dieser Zeit, die auf allen Ebenen und geschlechterübergreifend in allen Schichten und Altersklassen unterschiedliche Reaktionen hervorruft und wirkt. Der Student kommt von außen, bricht aber von innen heraus auf — Subversion. Es geht um die Übernahme von Perspektiven, die die Innensicht zu verwandeln im Stande sind. Alles wird neu gedacht, auch entgegen dem vorherrschenden Schamgefühl und der Moral.
Nicht zu übersehen sind die traditionell geprägten Geschlechterverhältnisse bzw. Rollenzuschreibungen: die Frauen verfallen allesamt in dysfunktionale Untätigkeit (Anorexie, Apathie, Hysterie, Nymphomanie etc.), sie verlieren sich, bringen sich um, verschwinden, werden gesellschaftsuntauglich. Die beiden männlichen Protagonisten schreiten jedoch zu heldenhaften Taten: der Sohn thematisiert die großen Gesellschaftsfragen in seinem künstlerischem Schaffen; und der Hausherr/Vater übernimmt konkrete politische Verantwortung und vergesellschaftet seine Produktionsmittel, womit er nichts geringeres als die Möglichkeit auf eine gesellschaftspolitische Systemveränderung in Aussicht stellt.