Architektur und Mensch

Architektur / Zitat

Die Architektur ist so vielgestaltig wie der Mensch. Gleich und anders. Zum Lemma “Architektur” (Kritisches Wörterbuch, Merve Verlag, 2005 [Frz. 1929]) schreibt Georges Bataille:

Die Architektur ist der Ausdruck des Wesens der Gesellschaften, in der gleichen Weise, wie das menschliche Gesicht der Ausdruck des Wesens der Individuen ist. Dieser Vergleich gilt jedoch vor allem in bezug auf die Physiognomie von Amtspersonen (Prälaten, Richter, Admiräle). In der Tat, nur das Ideale Wesen der Gesellschaft, dasjenige, das mit Gewalt gebietet und verbietet, drückt sich in den eigentlichen baulichen Kompositionen aus. So erheben sich die großen bedeutenden Bauwerke wie Deiche und setzen allen trüben Elementen die Logik der Hoheit und der Gewalt entgegen: In der Form von Kathedralen und Palästen richten sich Kirche und Staat an die Vielheiten und zwingen diesen Ruhe auf. In der Tat ist offensichtlich, daß die Monumente die soziale Weisheit und häufig selbst eine echte Angst anregen. Die Erstürmung der Bastille ist ein Sinnbild für diese Lage der Dinge: Es ist schwierig, diese Massenbewegung anders zu erklären, als durch die Feindseligkeit des Volkes gegen die Bauwerke, die seine wahren Gebieter sind.

[…]

Im übrigen ist es offensichtlich, daß die dem Stein aufgezwungene mathematische Anordnung nichts anderes darstellt als die Vollendung einer Entwicklung der irdischen Formen, denen in der biologischen Ordnung durch den Übergang von der affenähnlichen zur menschlichen Form, die bereits alle Elemente der Architektur darbietet, Sinn zukommt. Die Menschen bilden im morphologischen Prozeß offenbar lediglich eine mittlere Etappe zwischen den Affen und den großen Gebäuden. Die Formen sind zunehmend statisch geworden, zunehmend herrschend. Eigentlich ist die menschliche Ordnung von Anbeginn mit der architekturalen Ordnung innerlich verbunden, wobei diese nichts anderes als die Fortentwicklung jener ist. Wenn man die Architektur verantworklich macht, deren gewaltige Erzeugnisse gegenwärtig die wahren Herren auf der ganzen Erde sind und in ihrem Schatten die unterwürfigen Massen zusammenfassen, Bewunderung und Erstaunen einflößen, Ordnung und Zwang durchsetzen, dann macht man in gewisser Weise den Menschen verantwortlich. Ein ganzes irdisches Treiben, und zweifelsohne das glänzendste in der Geisteswelt, bewegt sich übrigens gegenwärtig in diese Richtung und prangert die Unzulänglichkeit der menschlichen Vorherrschaft an: So seltsam dies angesichts einer so eleganten Schöpfung wie des menschlichen Wesens scheinen mag, auf diese Weise öffnet sich ein […] Weg zur viehischen Abscheulichkeit; als ob es keine anderen Aussichten gäbe, der architekturalen Galeere zu entrinnen.