Mikro-Utopien der Architektur

Architektur / Architekturtheorie / Dissertation / Postmoderne / Publikation / Schreiben / transcriptVerlag / TU Berlin / Utopie
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Mikro-Utopien der Architektur — Das utopische Moment architektonischer Minimaltechniken.

Nachdem die Utopie mit dem Eintritt in die »Postmoderne« ab 1968 allmählich in Verruf geriet, zeigt sich in den gegenwärtigen kulturellen Diskursen ihre Rückkehr. Der Tief- und Wendepunkt dieser Entwicklung wird vom Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989/91 markiert. Sandra Meireis stellt für das architektonische Feld die zentrale Hypothese auf, dass sich eine Wiederkehr der Utopie in Form pluraler Mikro-Utopien beobachten lässt. Darüber hinaus zeigt sie auf, dass die Utopie als geschichtsphilosophisches Modell gesellschaftlichen Wandlungen unterliegt und mithin die spätmoderne Tendenz der kulturellen Partikularität reflektiert.

Mit einem Nachwort von Jörg H. Gleiter.

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5197-3/mikrotopoi-der-architektur/?c=311000186

Veröffentlichung: Winter 2020/21

Ouropa

EU / Europa / Kommentar / Politik / Tagesgeschehen / Weltganzes

Das, was sich zur Zeit an der EU-Außengrenze Griechenlands zur Türkei abspielt erinnert an dystopische Filmszenen aus den Nullerjahren. Die politische „Festung Europa“ wird abgeriegelt, um die Effekte kriegerischer Auseinandersetzungen „außen“ vor zu halten; falls es ein Außen noch geben kann. In den deutschen Medien wird eine „weitere Flüchtlingskrise“ heraufbeschworen, daran erinnernd, dass sich „ein 2015“ nicht wiederholen dürfe.

Angela Merkel postulierte damals „Wir schaffen das!“ in Anlehnung an Barack Obamas “Yes, we can!“ — jedenfalls meine ich, dass das kein rhetorischer Zufall war; definitiv ein kurzes Moment des politischen Optimismus.

Heute wird die Verantwortung reflexartig Anderen zugeschoben. Dass Abschottung langfristig aussichtslos ist, zeigt derzeit das neue, bisher verhältnismäßig harmlos verlaufende Coronavirus (COVID-19). Die Maßnahme der Quarantäne ist ein 40-tägiger Ausnahmezustand zur Behandlung und Betreuung der Gefährdeten und zum Schutz der Restbevölkerung. Das politische Europa dreht dies derzeit um und wird selbst zur Sonderzone für die (nicht nur) wirtschaftlich Bessergestellten. Um „die Anderen“ auszuschließen, schließt man sich selbst ein. Dass die — für viele Menschen — überwiegend positiven Seiten der Globalisierung auf ihren negativen Seiten lastet, d. h. auf der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft, ist unbestritten, aber scheint — bei vielen Menschen — nicht ankommen zu wollen; diese Einsicht würde wohl die gewohnten Annehmlichkeiten infrage stellen.

Was fiktive Dystopien kulturell so erfolgreich macht, ist ihre Verlegung in eine weit entfernte Zukunft; ein Ersatz-Schauer wird bei den Rezipient*nnen erzeugt. Danach lässt es sich vielleicht besser schlafen bzw. zur notwendigen Alltagsruhe zurückkehren, weil ein Worst Case bzw. Grenzfall zwar imaginativ durchgespielt, aber — so die Hoffnung — niemals eintreten wird. Im Moment sind wir alle — passiv und aktiv — Mitbeteiligte im gefährlichen Spiel globaler Nationalismen und Faschismen. Statt diesen ökonomisch angefachten Totalitarismen politisch entgegenzuwirken, wird ihnen mit Angstszenarien und Abschottung begegnet und mithin stattgegeben.

Es heißt, die Mehrheit der Menschen positioniere sich politisch gegen solche humanitären Katastrophen, es seien lediglich die Stimmen derjenigen — in den Sozialen Medien — verlautbar, die irrationale Ängste vor sich hertrieben. Wenn das so ist, dann stimmt mit der Idee der Demokratie grundsätzlich etwas nicht (mehr). Zur Zeit schafft EUropa (eu, Gr. gut) sich ab und eine Ahnung von OUropa (ou, Gr. nicht, kein) entsteht.

Gehen

Berlin-Wedding / Gehen / Literatur / Schreiben

Als die Fertigstellung meiner Dissertation mental anstrengend wurde, habe ich begonnen regelmäßig spazieren zu gehen — alle paar Tage, etwa eine Stunde, zwei Stunden, dann bis zu drei Stunden täglich. Gesegnet ist, wer Zeit dafür hat. Ich hatte, mit längeren Unterbrechungen, nahezu zwei Jahre Gelegenheit dazu! Zuerst führten mich meine Wege – das Nordufer und den Plötzensee hinter mir lassend – durch den bewaldeten Volkspark Rehberge, später auch durch die Westberliner Innenstadt, meist um Bibliotheksgänge zu erledigen. Das geschah oft am frühen Nachmittag, vor oder nach dem Mittagessen, jedenfalls als die Denkarbeit für den Tag erledigt schien bzw. meine Konzentrationsfähigkeit zuneige ging. Routinen helfen den Tag zu strukturieren. Gehen ist heilsam. Kopf und Körper vereinen sich.

Diese Obsession hat als intuitiver Stressabbau begonnen. Nun, als professionelle Spaziergängerin, weiß ich, dass es dazu reichlich Literatur gibt. Erst kürzlich wurde Rebecca Solnits “Wanderlust. Eine Geschichte des Gehens” ins Deutsche übertragen und die neuste Ausgabe der Zeitschrift Kunstforum (266) titelt “Die Kunst des Gehens” — ich bin gespannt.

Mermaiding

Alltag / Antifeminismus / Berlin-Wedding / Schreiben / Schwimmen

Nach längerer Zeit habe ich das Kombibad Seestraße mal wieder besucht — eine Nord-West-Berliner Institution, die mit zwei 50-Meter-Becken (für Schwimmerinnen wie mich) und wenigen unaufdringlichen Spaßbadelementen (für Kinder) aus dem Wedding, sommers wie winters, nicht wegzudenken ist. Ich habe diesem Schwimmbad viel zu verdanken. Temporäre Denkknoten und Schreibblockaden haben sich unter Wasser aufgelöst bzw. in sinnfällige Textpassagen verwandelt. Der bewegte Körper bewegt den Geist. Dieses Bad ist — bunt und lebendig — ein Spiegelbild seiner Nachbarschaft.

Aber auch hier räumt der “kraulende Mann” — auf der selben Bahn in entgegengesetzter Richtung — der “brustschwimmenden Frau” keinen Platz ein; die Frau weicht, wenn auch widerwillig, notgedrungen aus. Die Hierarchien sind klar. Beim Schwimmen gibt es keinen (ausgleichenden) Dialog.

Einige Bahnen später tauche ich auf; gönne mir eine kurze Pause am Beckenrand mit Blick auf den Wasserspielbereich der Kinder. Ich sehe ein Mädchen von etwa zehn Jahren in ein Kostüm schlüpfen — Wunsch-Personae: Meerjungfrau. Sie steigt in ein mit blau-grünen Fischschuppen illustrierten und delfin-großer Fischflosse applizierten Nylon-Schlauch; damit pfercht sie ihre Beine zusammen, unfähig auch nur einen Schritt zu laufen. Überrascht bin ich nicht, aber hochgradig irritiert.

Mindset

Pluralismus / Postkolonialismus / Weltganzes / Zitat

[I]m Moment beobachten wir die schwierige Geburt einer neuen Art Gemeinschaft aus der realisierten Totalität aller Gemeinschaften der Welt. Sie wird realisiert in Konflikt, Ausschluß, Massaker, Intoleranz, aber immerhin realisiert, denn heute träumen wir nicht mehr vom Welt-Ganzen, wir stehen mit ihm in Verbindung, wir sind mittendrin. 

Was traditionell ein universalisierender und vereinheitlichender Traum des Dichters war, wird für uns zu einem schwierigen Eintauchen in eine Chaos-Welt. […] [Aber] [d]as Chaos ist schön, wenn man all seine Bestandteile als gleich notwendig betrachtet.

Édouard Glissant (2005 [Frz. 1996]) 
Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit, S 27

Absichtserklärung

Absichtserklärung / Literatur

Konfrontiert mit der Frage: Was nun? oder auch: Was tun? (Wladimir I. Lenin) versuche ich auf diesem Wege meiner (weiblichen) Stimme Gehör zu verschaffen. Nach nahezu drei Jahrzehnten des Schreibens im Stillen — in unterschiedlichen Formaten —, ist es für mich nun an der Zeit Stellung zu beziehen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Obwohl ich die Aufgeregtheit der digitalen Öffentlichkeit bisweilen als unerträglich empfinde, weigere ich mich ihr Potential zu negieren. Hier als Blogbeiträge — in “kleiner Form” — wöchentlich/monatlich verfasst.

Nach zehn Jahren akademischer Lehrtätigkeit und Lebenserfahrung beginnt nun — ohne damit brechen zu wollen — etwas Neues; was auch immer es sein wird. Hinter mir liegt ein fünf Jahre währender und leidenschaftlich gelebter Promotionswahnsinn, wovon ich zwei Jahre unter Ausschluss der — auch befreundeten — Öffentlichkeit in einem “Zimmer für mich allein” (Virginia Woolf) verbrachte.

Mein bisheriges gesellschaftliches Stillschweigen über den genauso wunderbaren wie fatalen Irrsinn der Welt im Spätkapitalismus — oder sollte ich mich bemühen zeitgenössisch zu klingen und besser sagen im Anthropozän (ein misslicher Begriff / westliches Konzept) — ist keine Option mehr.

Die Finalisierung meiner Dissertation (über Mikro-Utopien der Architektur), geschrieben für ein breites, d. h. meiner Weltperspektive außenstehendes Publikum, hat Kraft gekostet. Es wäre lächerlich zu behaupten, dass sinnstiftendes Schreiben keine Kraft kostete; aber welche Arbeit kostet keine — wie auch immer geartete — Lebenskraft?

Als “unabhängige Frau” von — kaum mehr — 30 Jahren muss ich mir nun die Frage stellen: Wozu das alles? Meine antikapitalistische Überzeugung ist unbedingt, meine Leidenschaft bzw. Sendungsbewusstsein für alternative Lebensentwürfe ist hoch, die Resonanz meiner Peer- und Zielgruppe ist wünschenswert, aber die Anerkennung fehlt, jedenfalls finanziell, d. h. die Zukunft stellt sich in meiner derzeitigen Lebensperspektive eher als Leerstelle denn als Lehrstelle ein.

Das Persönliche ist politisch, um ein 1968er Klischee zu bemühen, das unbestreitbar nach Erneuerung verlangt, in einer Welt, die bereits unumkehrbar vernetzt ist und immer weiter zusammenrücken wird, auch gegen den Willen derer, die angstangereicherte, d. h. nationalistische oder faschistische Rhetorik verbreiten.

Das ist der Versuch einer gesellschaftlichen Positionierung in der Digitalmoderne — im Anschluss an die erfolgreiche “Verteidigung” meiner Dissertation (Disputation) im Fach Architekturtheorie (TU Berlin, Feb. 2020), what a journey!