Ästhetik und Architektur

abk— / Architektur / Architekturtheorie / Ästhetik / Publikation / transcriptVerlag

OUT NOW//GERADE ERSCHIENEN

Daniel M. Feige, Sandra Meireis (Hg.)

Ästhetik und Architektur

Bd. 2 der Schriftenreihe des Weißenhof-Instituts zur Architektur- und Designtheorie

Die ästhetische Tradition im Gefolge der Moderne hat die Architektur als randständiges Phänomen behandelt. Eine am Paradigma autonomer Kunst oder an einer kontemplativ verstandenen Theorie ästhetischer Erfahrung orientierte Ästhetik wusste mit der immer auch auf Zwecke bezogenen Architektur nicht immer viel anzufangen. Kants Diktum des interesselosen Wohlgefallens legt davon ebenso Zeugnis ab wie Hegels Verortung der Architektur an der Grenze der Kunst.

Die Beiträge des Bandes thematisieren die Frage, was es für die Grundbegriffe der Ästhetik heißen würde, sie ausgehend von der Architektur und damit einer immer auch funktionalen Kunst neu zu denken: Bedürfen Begriffe wie Kunst, Sinnlichkeit, Urteil und Erfahrung einer Reformulierung, um den ästhetischen Eigenarten der Architektur angemessen Rechnung zu tragen?

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6445-4/aesthetik-und-architektur/?c=311018983

Regeln im Dunkeln

Algorithmus / KI / Soziale Medien / Zitat

Und noch während wir mehr Empathie, schärfere Gesetze, einen Kulturwandel, Zivilcourage, Schulungen für die Polizei und vieles mehr einfordern, müssen wir uns eingestehen, dass wir im Dunkeln tappen. Denn die digitale Architektur, die diese Entwicklungen prägt, ist intransparent. Es wird zwar viel gemutmaßt und philosophiert, doch die Algorithmen auf den prominentesten sozialen Plattformen sind für die Öffentlichkeit nicht einsehbar.

Stellen Sie sich ein skurriles Abendessen vor, bei dem weder Sie noch die anderen Gäste begreifen, nach welchen Regeln das Tischgespräch verläuft, an dem sie doch alle beteiligt sind. Sie wissen nicht, warum der eigentlich kluge Kommentar Ihrer Sitznachbarin so leise klingt und von den meisten anderen am Tisch anscheinend nicht gehört werden kann. Sie wissen nicht, warum das lustige Familienvideo eines anderen Sitznachbarn stundenlang am Tisch herumgereicht wird. Sie wissen nicht, warum ein einzelner Wortbeitrag plötzlich alle anderen übertönt. Sie wissen nicht, warum eine Zufallsbekanntschaft, die eben noch am anderen Ende des Tisches platziert war, nun plötzlich neben Ihnen sitzt und Ihnen alte Hochzeits- und Urlaubsfotos vor die Nase hält. Die Sprache am Tisch wird aus irgendeinem Grund rauer. Jemand tobt vor Wut, die Stimmung kippt. Es schreit ein Mann quer über den Tisch und hält den alten Tweet einer Politikerin hoch, ein anderer wedelt mit einem Blog-Eintrag aus der letzten Woche. Die anderen schreien empört zurück. Chaos.

Warum, so müsste die Frage lauten, machen wir eigentlich freiwillig mit bei einem Spiel, dessen Regeln wir nicht kennen? Anlässe, dies nicht mehr zu tun, gibt es mehr als genug.

Kübra Gümüşay (2021) Sprache und Sein. 2. Auflage, btb Verlag, München, S. 118-119

Essentials of Montage in Architecture

Architektur / Architekturtheorie / Publikation / transcriptVerlag / TU München

OUT NOW//GERADE ERSCHIENEN

Max Treiber, Sandra Meireis, Julian Franke (eds.)

Dimensions. Journal of Architectural Knowledge

Vol. 2, No. 4/2022: Essentials of Montage in Architecture

»Dimensions. Journal of Architectural Knowledge« is an academic journal in, on and from the discipline of architecture, addressing the creation, constitution and transmission of architectural knowledge. It explores methods genuine to the discipline and architectural modes of interdisciplinary methodological adaptions. Processes, procedures and results of knowledge creation and practice are esteemed coequally, with particular attentiveness to the architectural design and epistemologies of aesthetic practice and research.

Dimensions Issue 4/2022, edited by Max Treiber, Sandra Meireis, and Julian Franke, provides a comprehensive collection of theories, methods, and visions to highlight the relevance of montage for visual and spatial practices as well as for knowledge production in architecture. 

https://www.dimensions-journal.eu/

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5921-4/dimensions.-journal-of-architectural-knowledge/?number=978-3-8376-5921-4

Das Föhtong (Nr. 2)

Das Föhtong / Experiment / Gegenwart / Literatur / Publikation / Schreiben / Zeitgeschehen

Liebe:r Leser:in,
die zweite Ausgabe unseres literarischen Flugblatts // Das  f ö h t o n g – Das zweischneidige Pferd // ist gerade frisch erschienen! 🎠🎠 Wenn Du unsere neuesten Kurztexte, Gedichte und Kommentare lesen möchtest, bestelle hier eine *blaue* Ausgabe als handgefertigtes Printexemplar zu Dir nach Hause:
dasfoehtong.de

Verfasst, gestaltet, herausgegeben und verlegt von:
Alma Grossen, Sandra Meireis, Arne Schmelzer

Falls Du diese Nachricht an potentielle Leser:innen weiterleiten, oder selbst einen Beitrag in einem frei wählbaren Format (Text / Grafik) zur kommenden Ausgabe leisten möchtest, freuen wir uns — Danke und literarische Grüße!

K-Gruppen, damals und heute

Klimakrise / Zeitgeschehen

Lauscht man Berichten und Erzählungen über die studentischen Revolten um 1968, dann stolpert man immer wieder über das Entstehen und die Formation unzähliger K-Gruppen. Aus heutiger Sicht ein undurchsichtiger Dschungel verschiedenster Ausprägungen kommunistischer Interessengruppen, Kreise, Parteien, Vereine, Zusammenschlüsse, etc., die je unterschiedlich organisiert, fokussiert, politisch und/oder kulturell aktiv waren.

Heute gibt es eine neue Bandbreite an K-Gruppen und zwar jene der großen Klimabewegung. Ähnlich vielfältig organisiert, fokussiert, politisch und/oder kulturell aktiv(istisch). Die Aufregung u.a. über die kulinarischen Attacken der Letzten Generation auf höchst wertvolle Gemälde lässt sich damit relativieren. Sinnvoll oder nicht (postkoloniale Kritik an der europäischen Kulturgeschichte / TikTokisieruung von Protest), ist es aber eines von vielen möglichen Ventilen der Ohnmacht gegenüber den Ungeschicken der Macht (Profit over People), die keine wirklich ernsthaften Hebel in Bewegung setzt, um die Katastrophe abzuwenden, Ausdruck zu verleihen. Der gesellschaftliche Aufschrei gegenüber friedlich gestimmtem, zivilem Ungehorsam scheint einfacher und lauter von statten zu gehen als die Empörung gegenüber der gewaltsam fortgeführten globalen Ungleichheitspolitik und fehlenden Solidarität. Ist die Frage, wie weit darf Klimaprotest gehen, nicht falsch gestellt?

Die großen Schauen

Architektur / Documenta / Kunst / Manifesta / Uncategorized

Manifesta 14 (Prishtina) und Documenta fifteen (Kassel): Beide gehen auffallend sensibel mit den Räumen für die Kunst oder besser: mit der Auswahl der Werke entsprechend den Räumlichkeiten um. Das ist stark. Das ist durchaus Konzept. Das gelingt. Für beide Schauen hatte ich in diesem Sommer jeweils nur einen Tag reserviert, allzu wenig Zeit, aber genug, um festzustellen, dass Kunst- und Architekturwelten zunehmend verschmelzen, mindestens im Sinne des Betrachters. Es sind gerade die Räume des Alltäglichen, die sich besonders gut für die Kunst anbieten. Nicht der spektakuläre Raum, sondern der beiläufige, ja unaufdringliche, jener der thematisch sich anbietet und Ausblicke schafft, Fenster in die Gegenwart. Und doch jene, die Atmosphäre schaffen, um zu Bleiben, fast immersiv die Kunst erleben lassen, ohne dass das Räumliche expliziert wird, lediglich vorgedacht, sorgsam ausgewählt, die Kunst sich anschmiegen lässt, sie hochsensibel umschließt. Das gilt für Malerei ebenso wie für Skulptur und Installation, Lyrik und Musik. Die Autonomie der Kunst gewinnt an Kraft durch ihre Einbindung ins Leben.

Utopie, und jetzt? Utopie!

Utopie / Zitat

Ist ein Zustand realisiert, welcher der Utopie entsprechen soll, so straft die Idee der Utopie ihre eigene Verwirklichung gleichsam wieder Lügen und treibt von selbst über ihre vermeintliche Realisation hinaus. Die Utopie ist also, richtig verstanden, immer die dialektische Einheit von Materie und Geist: die in sich gespannte Einheit ihrer materiellen, praktischen Verwirklichung und ihrer niemals zu verwirklichenden Idee, die immer schon dabei ist, als ein niemals einzuholendes Korrektiv die Wirklichkeit der Utopie auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Genau das ist es was im Realsozialismus einfachhin über Bord geworfen worden ist. […]

Man braucht jedenfalls handfeste Ziele, konkrete Träume und zündende Ideen, wenn man eine Utopie in die Tat umsetzen will; aber es gibt kein Endziel, eine Utopie gibt sich mit ihrer Realisierung nicht zufrieden, sie wirft sofort neue Fragen auf, sie sucht nach neuen Lösungen, und in jeder Epoche tritt sie neu und voller Elan auf. Sie bleibt die stärkste Kraft der Erneuerung, da sie vielseitig, flexibel und holistisch agiert und nie starr einer einzigen Ideologie und Politik folgt.

Artur Becker (2022) Links. Ende und Anfang einer Utopie. Westend Verlag, Frankfurt/M., S. 74-75

MEDIENECHO “Mikro-Utopien der Architektur”

Architekturgeschichte / Architekturtheorie / Buch / Mikro-Utopie / Rezension / transcriptVerlag

»Dass [in dieser Arbeit] vor allem die Aufforderung mitschwingt, die niemals vollendete Utopiegeschichte in kleinsten, plural verfassten, auf Toleranz zielenden und das Politische reanimierenden Raumgeschichten weiterzuschreiben, das ist möglicherweise der Gewinn einer Lesereise, die nicht nur den Historiker fasziniert.«

Benedikt Kraft, Deutsche Bauzeitschrift, 3 (2022)

»Die angenehm übersichtliche Länge des Buchs ist durch eine enorme Informationsdichte erkauft, die in manchen Fällen eine hohe Kenntnis voraussetzt, aber dafür eben auch den Lesenden mit vielen neuen Erkenntnissen und Einsichten belohnt, die sich gerade auch deshalb als anregend erweisen, als es sich seit Erscheinen des Buchs zunehmend als drängend erwiesen hat, andere Formen des Zusammenlebens zu erproben und zu ermöglichen.«

Christian Holl, http://www.marlowes.de, 02.05.2022

»Selbst die schwierigsten Kapitel zur Ideengeschichte und den Grundlagen des Utopiediskurses meistert Meireis vorbildlich. Sie hat ein ernsthaftes Anliegen und möchte dieses auch für Laien verständlich machen. So gelingt Architektur denken auf höchstem Niveau!«

Uwe Bresan, AIT, 1-2 (2022)

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5197-3/mikro-utopien-der-architektur/?c=311000186

Baukunst und Alltagsbau: Ideologisches Gegensatzpaar oder Komplementärnarrativ der Architekturgeschichte?

Alltag / Architektur / Architekturgeschichte / Architekturtheorie / Baukunst / BTU / Symposium / Vortrag

Die Zeitschrift Wolkenkuckucksheim lädt anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens zu einem Symposium ein. Dessen Thema sind zwei Spannungsverhältnisse, über die in der Architekturtheorie seit Anbeginn implizit oder explizit diskutiert wird: die Diskussion über das Verhältnis von Alltag und Baukunst sowie von Ding und Raum. Die Themen werden bewusst antagonistisch gegenübergestellt, um die Diskussion zu befördern. Eingerahmt durch zwei Keynote-Vorträgen von Eduard Führ und Arno Lederer werden acht Impulsvorträge zu den zwei Spannungsverhältnissen gehalten. Es gibt in zwei Podiumsgesprächen und einem Roundtable ausreichend Zeit für Diskussionen. Das Symposium findet in Präsenz in Cottbus statt, zugleich wird das Symposium als Livestream veröffentlicht.

Programm: http://www.cloud-cuckoo.net

Ort der Präsenzveranstaltung: Hörsaal A, Zentrales Hörsaalgebäude, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Platz der Deutschen Einheit 1, 03046 Cottbus

Link zum Livestream: http://www.cloud-cuckoo.net/symposium-livestream

Anmeldung per E-Mail an: symposium@cloud-cuckoo.net

Veranstalter: Fachgebiet Kunstgeschichte, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg und Wolkenkuckucksheim, Internationale Zeitschrift zur Theorie der Architektur

Miteinander sprechen

Berlin / L.H. / Psychoanalyse / Zitat

Mancher macht sich vielleicht Mut, indem er sich vor Augen hält, was er alles hat: seine früheren Erfolge, sein charmantes Wesen (oder seine Fähigkeit, andere einzuschüchtern, falls dies mehr Erfolg verspricht), seine gesellschaftliche Stellung, seine Beziehungen, sein Aussehen und seine Kleidung. Mit einem Wort, er veranschlagt im Geiste seinen Wert, und darauf gestützt bietet er nun im Gespräch seine Waren an. Wenn er dies sehr geschickt macht, wird er in der Tat viele Leute beeindrucken, obwohl dies nur zum Teil seinem Auftreten und weit mehr der mangelnden Urteilsfähigkeit der meisten Menschen zuzuschreiben ist. Der weniger Raffinierte wird mit seiner Darbietung nur geringes Interesse erwecken; er wird hölzern, unnatürlich und langweilig wirken.

Im Gegensatz dazu steht die Haltung des Menschen, der nichts vorbereitet und sich nicht aufplustert, sondern spontan und produktiv reagiert. Ein solcher Mensch vergißt sich selbst, sein Wissen, seine Position; sein Ich steht ihm nicht im Wege; und aus genau diesem Grund kann er sich voll auf den anderen und dessen Ideen einstellen. Er gebiert neue Ideen weil er nichts festzuhalten trachtet. Während sich der “Habenmensch” auf das verläßt, was er hat, vertraut der “Seinsmensch” auf die Tatsache, daß er ist, daß er lebendig ist und daß etwas Neues entstehen wird, wenn er nur den Mut hat, loszulassen und zu antworten. Er wirkt im Gespräch lebendig, weil er sich selbst nicht durch ängstliches Pochen auf das, was er hat, erstickt. Seine Lebendigkeit ist ansteckend, und der andere kann dadurch häufig seine Egozentrik überwinden. Die Unterhaltung hört auf, ein Austausch von Waren (Information, Wissen, Status) zu sein, und wird zu einem Dialog, bei dem es keine Rolle mehr spielt, wer recht hat.

Erich Fromm (1980) Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. 4. Auflage. dtv, München, S. 43

 

The Power of Sources in Architecture Research

Architekturtheorie / Architektur / TU Berlin / Zeitgeschehen / abk— / Architekturgeschichte / Konferenz / NAW / TU Darmstadt / BHT

Access to sources, knowledge, and information is going through fundamental changes as globalisation and digitalisation evolve. The same changes apply to the process of gaining new academic insights. As the amount of sources increases (as well as their diversity and general distribution), there are still fundamental differences in accessibility, depending on one’s geographic and economic position. What role do economic and social factors play in a researcher’s possibility to visit an archive, or simply to make due with a curated and digitalised selection of sources? In this conference, matters of usage, reception, archivisation, and hierarchical structure of sources are questioned. This also applies to architecture as a globalised and digitalised academic discipline and practice – an issue that architecture must address. The 8th Forum of Architectural Science will examine the power of sources in three thematic aspects: “Agency and Politics”, “Data and Media”, and “Canon and Episteme”.

Im Spiegelraum der Gesellschaft

Alltag / Corona / Gesellschaft

Der Wegfall des gesellschaftlichen und v. a. öffentlichen Lebens in den vergangenen zwei Jahren führte u. a. dazu, dass Begegnungen nur noch unter speziellen Bedingungen stattfanden und man infolgedessen gänzlich auf sich selbst zurückgeworfen wurde. Außerhalb des eigenen Kreises, also innerhalb der Familie, unter Freund:innen, auf der Arbeit, fand Austausch nur sehr begrenzt oder gar nicht mehr statt und all das auf der Basis von Angst, Misstrauen und Kontrolle. Im Prinzip wurde der außermedialen Öffentlichkeit ihr Boden entzogen.

Beispielhaft eignet sich der gemeinsame Tanz (physisch und mental) gut dafür herauszufinden, welche Rolle man in der jeweiligen Gemeinschaft/Gesellschaft einnimmt oder zugeschrieben bekommt, wie die anderen dazu positioniert sind und welche Auswirkungen das auf alle Beteiligten hat. Das lässt sich nur im physischen Raum erfahren, den man gemeinsam bespielt und ggf. umsteuert — eben im Spiegelraum der Gesellschaft!

Über Urbane Praxis

Ausstellung / Berlin / Publikation / Urbane Praxis

ÜBER URBANE PRAXIS ist ein Projekt, das die Urbane Praxis (UP) in Berlin untersucht, vernetzt, aufzeigt und mit der ortsbezogenen UP am Haus der Statistik zusammenbringt — von und mit: Jennifer Aksu, Markus Bader, Nina Peters, Adolfo del Valle Neira, Raquel Gómez Delgado, Lorène Blanche Goesele, Sandra Meireis, Yves Mettler, Martin C. Welker

PUBLIKATION Redaktion: Markus Bader, Nina Peters, Lorène Blanche Goesele; Autor:innengemeinschaft: Sandra Meireis, Jennifer Aksu, Susanne Bosch, Markus Bader, Nina Peters, Lorène Blanche Goesele, Carla Schwarz, Anna Piccoli; Fotografien: Martin C. Welker, Raquel Gómez Delgado; Layout und Textsetzung: Zsuzsanna Ilijin, Lorène Blanche Goesele; Plakatgestaltung: Zsuzsanna Ilijin

Open Access: https://hausderstatistik.org/wp-content/uploads/2021/12/UeberUrbanePraxis_Dokumentation_digital-200dpi.pdf

Vitruv, damals und heute

abk— / Antike / Architekturgeschichte / Lehre / Zitat

Bereits mit De architectura wurde ein architekturtheoretisches Fundament errichtet, das sich auch aus späterer Sicht als erstaunlich stabil erweist. Selbstverständlich haben sich mit den Bauaufgaben und den Gesellschaftsordnungen die Bedingungen des Bauens und damit auch die speziellen Inhalte der Theorie grundlegend gewandelt. An die Stelle von Tempeln sind Bürohochhäuser als Leitsektor der Architektur getreten. Entworfen wird nicht mehr mit Ritzzeichungen auf Steinplatten, sondern mit computergestützten Bildverfahren. Und firmitas wird unter den Vorzeichen des Einsatzes von synthetischen Materialien auf Haltbarkeitszyklen begrenzt. Aber dessen ungeachtet bleiben Grundlinien des theoretischen Nachdenkens von Vitruv gültig. Dies gilt zunächst für die Theoriefähigkeit von Architektur als solcher. Es betrifft aber auch die […] geschichtlichen, sozialen, und ästhetischen Bedeutungen von Architektur. Und nicht zuletzt erweisen sich die drei Grundbegriffe Vitruvs als durchaus konstant. Denn wenn in einem modernen Verständnis für die Definition von Architektur die Kategorien von Material, Raum und Repräsentation aufgeboten werden, so zeichnet sich dahinter immer noch die keineswegs völlig ferngerückte Erinnerung an Vitruvs Trias von firmitas, utilitas und venustas ab.

Dietrich Erben (2017) Architekturtheorie. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München, S. 24-25

 

Architekturgeschichte im Studium

abk— / Architekturgeschichte / Architekturtheorie / Lehre

Die im Studium vermittelte Architekturgeschichte nimmt in/direkt Einfluss auf die architektonische und städtebauliche Praxis: auf das Denken, Entwerfen und Bauen der Architekturschaffenden und damit auf unseren Kultur- und Lebensraum. Die Erzählungen im Fach Architekturgeschichte bewegen sich meist zwischen Bau- und Alltagskunst. Mit Baukunst sind repräsentative Bauten gemeint, die den traditionell kunsthistorisch geprägten Kanon dominieren. Mit Alltagskunst sind Wohnbauten und andere Raumstrukturen gemeint, die im gegenwärtig v. a. soziologisch geprägten Diskurs von großem Interesse sind. Was und wie gebaut wird oder wer für wen baut schließt immer auch Machtfragen und -gefälle mit ein. Die Vermittlung von Architekturgeschichte ist demnach nicht in der selbstreferentiellen Vermittlung eines gegebenen Kanons zu suchen.

Um die gebaute und damit den Menschen prägende Umwelt lesen und verstehen zu können, bedarf es Vorkenntnissen. Erkenntnisse aus der Vergangenheit vermitteln uns Wissen und Werte für die Gegenwart, diese bilden die Grundlage und Bedingung für eine kritische und reflexive Zeitdiagnose, die dem praktischen Handeln vorausgeht. Für die Architekturpraxis ist die Architekturgeschichte also von eminent wichtiger Bedeutung, denn erst durch sie können komplexe gesellschaftliche Vorgänge und ihre Zusammenhänge nachvollzogen, untersucht, verstanden und letztlich verändert/verbessert werden. Ein Grund zur Beschäftigung mit Geschichte betrifft also die Befähigung zur Zukunftsgewandtheit. Die Architekturgeschichte und -theorie berührt damit auch den Entwurfsprozess von Architektur unmittelbar. In der Gestaltung von Architektur und Stadt werden die großen Fragen unserer Zeit aufgeworfen und es wollen Antworten gefunden oder zumindest soll ein Umgang damit versucht werden, wie z. B. Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und nicht zuletzt der gerade erst begonnene Prozess der Dekolonialisierung. Architekturgeschichte ist m. E. auch nur im Dreiklang von Geschichte/Theorie/Kritik zu verstehen. Oder, vom Ende hergedacht: Lehre soll gute Architekt:innen hervorbringen … dazu bedarf es kritischen Geistern, die theoretische Grundlagen benötigen, wozu Geschichtskenntnisse nötig sind!