
In der Buchhandlung (Pro qm)

Technische Innovationen sind oft faszinierend, zumeist fortschrittlich, manchmal sogar heilsbringend. Der Forschungsdrang von Wissenschaftler:innen, gepaart mit dem Innovationszwang der kapitalistischen Wirtschaftslogik, bringt technische Entwicklungen stetig hervor, die gesellschaftlich betrachtet oft hilfreich sind, mitunter aber sowohl ökonomisch instrumentalisiert, als in Folge auch von den Konsument:innen unhinterfragt angenommen werden, schlicht deshalb, weil es geht. Die Liste der Absurditäten ist lang und irrwitzig.
Eine mögliche Zusammenhanglosigkeit von technischer Innovation und tatsächlicher Nachhaltigkeit, d. h. gleichzeitig und gleichermaßen ökologisch, ökonomisch und sozial, lässt sich anhand des “Rebound-Effekts” erkennen. Eine kurze Definition lautet: Der Rebound-Effekt ist ein Anstieg des Energieverbrauchs aufgrund einer Effizienzsteigerung (Martin Achternicht, Simon Koesler, 2014, zit. nach https://de.m.wikipedia.org/wiki/Rebound-Effekt_(Ökonomie)). Das kann sich direkt oder indirekt zeigen. Es ist einer der am meisten unterschätzten Hindernisse auf dem Weg in eine nachhaltige Wirtschaftsweise, so formuliert Maja Göpel in ihrem Buch “Unsere Welt neu denken. Eine Einladung” (2020: 99).
Um an dieser Stelle nicht tiefer in solch reichlich abstrakte energieökonomische Definitions- und Erklärungsversuche einzutauchen, aber dennoch die erstaunliche Karriere dieses Phänomens einzufangen, seien wenige griffige Beispiele angeführt:
Wenn der Automobilsektor sich so entwickelt hätte, wie die Industrie der Informatik, dann hätten wir heute Autos die 25 Dollar kosten und 500 km mit 1 Liter fahren würden (Bill Gates). Am Auto zeigt sich besonders gut, wie vielfältig der Rebound-Effekt wirkt. Es ist eines der Produkte, bei dem noch so gut wie jede Effizienzsteigerung auf irgendeiner Ebene wenigstens teilweise wieder aufgehoben wurde. Diese Aufhebung kann auf direkte Weise in der Nutzung geschehen. Etwa, wenn jemand, der sich ein benzinsparendes Auto gekauft hat, dieses Auto nun häufiger nutzt […]. Es kann auch auf indirekte Weise geschehen, indem sie [die Person] sich für das im Unterhalt gesparte Geld etwas leistet, das sie sich bisher nicht leisten konnte […]. Dasselbe gilt auch auf der Ebene der Produzenten. […] Ein ganz normaler VW Käfer verbrauchte Mitte der Fünfzigerjahre 7,5 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Als VW das Fahrzeug Ende der Neunzigerjahre als Beetle wieder auflegte, verbrauchte es fast genauso viel. Dabei lagen vierzig Jahre technische Entwicklung, Ingenieursarbeit und Effiziensstreben zwischen beiden Modellen. […] Was an geringerem Verbrauch möglich gewesen wäre, wurde für zusätzliche Leistungen ausgegeben. Energie wurde nicht eingespart, Material auch nicht, im Gegenteil […].
Dasselbe gilt für die Baubranche: Unsere Heizungen etwa sind sparsamer als jemals zuvor, die Gebäude wärmeisoliert, aber da der Raumbedarf pro Kopf immer weiter gestiegen ist […], sinkt der Energieaufwand eben trotzdem nicht. Und dasselbe gilt für unsere Elektrogeräte […] und das sogenannte Geo-Engeneering (Göpel, 2020: 105-109).
Übertragen lässt sich das Phänomen auch auf die Arbeitswelt, wie sonst wäre zu erklären, dass die Effizienzsteigerung der Digitalisierung die Menschen noch immer an den Standard einer 40-Stunden-Woche bindet?
OUT NOW//GERADE ERSCHIENEN, in: ARDETH #07 — EUROPE. ARCHITECTURE, INFRASTRUCTURE, TERRITORY. Politecnico di Torino, pp. 46-65. Online: http://www.ardeth.eu/magazines/europe/
Sandra Meireis
Abstract
As a reaction to worldwide calls for a change of the ecological consciousness, and a general overhaul of the global economic system, new movements and manifestos are emerging in connection with the construction industry, which is one of the sectors that can make a significant contribution to climate protection. In this article, European Architectures in the Age of Climate Change (EAACC) are being proposed as an idea that brings nature, society and architecture together, and has the potential to reshape the cities and regions of Europe into a cleaner and fairer tomorrow. A socially just, environmentally friendly, and economically productive Green New Deal (GND) implemented in the Urban Agenda of the European Union can pave the way for a sustainable urban and rural future Europe.
Müde bin ich, geh’ zur Ruh‘ … so beginnt ein traditionelles Gute Nacht-Gebet. Es ist das einzige, das ich heute noch auswendig kenne. Müde bin ich, heute aber aus anderen Gründen. Nicht der überhitzte Tag im Garten, auf der Straße, die vielen kindlichen Eindrücke tragen die überwältigende Müdigkeit in meine Knochen, die sich damals über Nacht ganz schnell wieder erholten. Müde bin ich, heute von der Gesellschaft und von einem zur Gewohnheit gewordenen Idealismus, den man besser in der späten Adoleszenz abstreift. Ein Schlaf, selbst tief, hilft nicht. Zwei auch nicht.
Ich frage mich, warum ich es nicht schaffe, das zu tun, was ich eigentlich tun wollte. Und dann frage ich mich, warum ich es auch nicht schaffe, das zu tun, was ich eigentlich nicht tun sollte, so Sylvia Plath in Die Glasglocke. All das ermüdet mich, während ich nur noch auf das kalte klare Wasser einer Küste im August hin fiebere.
Die Grenze und der Übergang sind Phänomene, die mich schon seit einigen Jahren beschäftigen: das betrifft sowohl den physischen Raum als auch den historischen Zeithorizont. Die Grenze, der Rand, die Liminalität, die Übergangszone und die Zwischenwelt sind reichlich abstrakte Begriffe und bilden einen je höchst eigentümlichen Ort, an dem es möglich ist, einer anderen Macht zu begegnen, an dem man das Risiko läuft, sich zu verwandeln, von dem es schwierig ist zurückzukommen, so die Beschreibung der französischen Anthropologin Nastassja Martin in ihrem Buch “An das Wilde glauben” (2021: 116). Meine eigene Gegenwart ist durchdrungen von Fragen, die folgende Bereiche berühren (alphabetisch): Alter, Anarchie, Arbeit, Architektur, Bürgertum, Corona, Ethik, Europa, Familie, Feminismus, Gesellschaft, Herkunft, Kinder, Klasse, Krankheit, Kunst, Land, Moderne, Nation, Postmoderne, Sprache, Stadt, Werte … und all die dazugehörigen Unsicherheiten und Ungereimtheiten.
Die Beschäftigung mit Grenzräumen und Übergangszeiten manifestiert sich auch in meiner akademischen Arbeit. Bisher habe ich mich diesem Themenkomplex in Abschlussarbeiten und Seminaren gewidmet, habe mich damit auf Reisen beschäftigt und Alltagserfahrungen gesammelt. Manchmal mit der Fotokamera beobachtend, oft schreibend, immer interessiert am geografischen, kulturellen und spirituellen Grenzgang. Prominent wurde das auch theoretisiert von Georg Simmel (sozial-räumlich), Edmund Husserl (phänomenologisch), Marc Augé (anthropologisch), Gil M. Doron (geografisch), etc. Da wo das Eine auf das Andere stößt, geschehen meist unerwartete Dinge.
Das betrifft auch mein derzeitiges akademisches Schaffen: thematisch, methodisch und institutionell. In den letzten Jahren haben mich vor allem neue utopische Modelle in der Architektur beschäftigt. Die Publikation “Mikro-Utopien der Architektur” beschreitet nun ganz eigene Übergangs- und Grenzbereiche, die sich darin zeigen, dass über das Feld der Architekturforschung hinaus, transdisziplinäre Dialoge dazu angestoßen werden.
Die Lyrikerin Dorothee Elmiger beschreibt in ihrem in lyrischer Prosa verfassten Rechercheprotokoll “Aus der Zuckerfabrik” eine eindrückliche Passage über Ziegen, die mich dazu veranlasste den vorliegenden Post zu formulieren, denn sie fängt darin ein Phänomen ein, was mein derzeitiges Arbeitsgefühl gut beschreibt: Der Anfang einer neuen Recherche wirft mich ins Ungewisse. Der Wechsel von einem Denkkosmos in den anderen ist aufregend, schön und beunruhigend gleichermaßen.
Es gibt eine Episode aus meiner Kindheit […]: wie nämlich mein Vater als Forstadjunkt einmal zu einer Alp hochfuhr und mich […] mitgenommen hat. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, jedenfalls erinnere ich mich daran, dass ich aus den Fenstern des weißen Jeeps vor allem die baumfreien Regionen, die felsigen Hänge vor dem trüben Himmel sah. Nach der Fahrt hoch zur Alp über die steil ansteigende Straße standen wir am Rand eines Bergsees, und während sich also mein Vater mit dem Landwirt unterhielt, der seine Tiere dort sömmerte, sah ich […] in einiger Distanze eine Ziege. […] Ihr weißes Fell leuchtete mir entgegen und natürlich wollte ich unbedingt in die Nähe dieser Ziege gelangen, ich wollte das Rätsel lösen, das die Ziege, die wie ein Phantom mitten in der Wiese stand, mir stellte, aber schon damals wusste ich natürlich, dass es unter Umständen nicht so einfach war, in ihre Nähe zu gelangen: Ich musste mich dem Tier empfehlen, ich musste eine Sprache für die Ziege finden, ich musste ihr zu verstehen geben, dass ich sie zwar betrachten, aber nicht töten wollte. Jedes Kind weiß von der Unberechenbarkeit, dem Eigensinn der Tiere. Oft entwischen sie im letzten Moment. Was ich sagen will: Wie ich damals dieser Ziege gegenüberstand, die nicht viel kleiner war als ich selbst, wie wir uns Aug in Aug gegenüberstanden, so hatte ich auch hier angefangen, mit diesen Überlegungen: Ich rechnete durchaus damit, dass alles fruchtlos bleiben würde. Aber? Aber kaum hatte ich, das Kind, also den Plan gefasst, mich der Ziege zuzuwenden, traten hinter dem Tier weitere Ziegen auf die Wiese, und zusammen setzten sie sich augenblicklich in Bewegung und kamen rasch auf mich zu, die ganze Herde des Bauern trabte in meine Richtung. Du kannst dir vorstellen, dass ich jubelte bei der Aussicht, dass die Ziegen so ganz freiwillig herkommen würden (…) sehr zielstrebig auf mich zusteuerten, das Kind, das kaum größer war als diese Ziegen. Sie umringten mich, drängten sich zu mir vor, die hinteren stellten sich auf die Hinterbeine, um mich so über die Köpfe der vorderen hinweg zu sehen. Ich erinnere mich an ihre kühlen, wässrigen Augen, lustige Augen, an ihre schmalen Köpfe und ihre hellen Nasen, mit denen sie mich anstießen, und dann an ihre Zungen, mit denen sie über meine Hände und mein Gesicht zu fahren begannen. Ich sehe genau, wie das Kind diese Geister, die es kurz zuvor noch rufen wollte, nun mit beiden Händen zu vertreiben versucht, wie es die zudringlichen Tiere, die sich so hemmungslos auf es stürzen, die es belagern, immer wieder von sich stößt. Der Vater und der Landwirt belustigt: Die Ziegen haben noch niemandem etwas zuleid getan. Aber dem Kind ist es zu viel, es sieht nur noch die Zungen und die Münder, die sich öffnen, es spürt die Körper der Ziegen an seinem eigenen Körper und die Klauen, mit denen sie ihm auf den Füßen rumstehen, und es beginnt laut zu weinen, und viel später noch, als es längst wieder auf dem Rücksitz des Autos sitzt, ist es immer noch erschöpft und fassungslos. So siehst du dich jetzt? Nur dass die Ziegen in diesem Fall nun körperlos sind. Wobei es doch stimmt, dass die Ziegen, wie dein Vater und der Bauer sagten, dass sie eigentlich ganz harmlos sind. Aber dieses Verlangen, mit der Ziege zu sprechen, die Ziege zu verstehen, das ist doch unter Umständen nicht ungefährlich.
Ich habe nun noch einmal länger darüber nachgedacht, was du über Ziegen gesagt hast. Und was mir dann eingefallen ist: Dass die berühmten Medien nach ihren Sitzungen jeweils eine Art Zusammenbruch erfahren und unter großer Erschöpfung leiden. Vor einigen Tagen, nachdem ich wochenlang im Libro de la vida von den Krankheiten und Ekstasen der heiligen Teresa gelesen und mir einen Reim darauf zu machen versucht hatte, begannen auf einmal meine Glieder sehr zu schmerzen oder vielmehr zu zittern, sodass ich tagelang kaum mehr aufstehen mochte. Ich schleppte mich in die Waschküche, und wenn es sein musste, ging ich einkaufen, das war alles, und meine Mutter meinte am Telefon, mir fehle es vielleicht an Eisen im Körper (…). Der Punkt ist, dass ich sehr spät erst dachte, wie lustig es doch sei, dass mich gerade jetzt, da ich mich mit den Ohnmachten und den Schmerzen der Heiligen beschäftigte, diese eigentlich grundlose Schwäche befallen hatte. Also ich glaube schon, dass wir uns eben in diesen Momenten außerhalb dessen bewegen, was wir verstehen, und dass das sehr anstrengend ist. Und wie dann, wenn zu viel von dem Medium verlangt wird, auf einen Schlag das Gespräch abbricht und das Medium niedersinkt, als hätte man ihm einen Stoß verpasst, das leuchtet mir ein. Im Wörterbuch heißt es ja auch, das Wort “ahnen” komme vom mittelhochdeutschen -mir, mich anet-: ‘Es kommt an mich heran’, d.h. ‘ich sehe voraus’. Das Kind ist so müde, weil ihm die Ziegen so nah gekommen sind (Elmiger, 2020: 182-185).
[gute Texte sind, und widerständig]
Hatte ich mich doch gerade im großen Denkkosmos der Utopie so gut eingerichtet … stehe ich nun vor einer Forschungsaufgabe, begleitet von einem weiteren universitären Institutionswechsel, den ich erneut als Übergangs- und Grenzsituationen erlebe. Das ist zwar abwechslungsreich, aber läßt mich dennoch so manches infrage stellen, z. B. ob das “wandernde Wissen” der Forschung langfristig zu Gute kommt.
Fortsetzung folgt (in: DAS FÖHTONG Nr. 2)
Wann immer sie an den Hof gekommen war, um die Eltern zu besuchen, hatten dort Theatervorstellungen stattgefunden. Leute standen auf der Bühne und verstellten sich, aber sie hatte sofort begriffen, dass das gar nicht stimmte und dass auch die Verstellung bloß eine Maske war, denn falsch war nicht das Theater, nein, alles andere war Getue, Verkleidung und Firlefanz, alles, was nicht Theater war, war falsch. Auf der Bühne waren die Menschen sie selbst, ganz wahr, völlig durchsichtig.
Im wirklichen Leben sprach keiner Monologe. Da behielt jeder seine Gedanken für sich, da konnte man nicht in Gesichtern lesen, da schleppte jeder das tote Gewicht seiner Geheimnisse. Niemand stand allein in seinem Zimmer und redete laut darüber, was er wollte und fürchtete, aber wenn Burbage das auf der Bühne tat, mit seiner knarrenden Stimme, die sehr dünnen Finger auf Augenhöhe, kam es einem unnatürlich vor, dass alle immerzu versteckten, was in ihnen vorging. Und was für Wörter er gebrauchte! Reiche Wörter, seltene, die schimmerten wie wertvolle Stoffe — Sätze, so perfekt gefügt, wie man es selbst nie fertig gebracht hätte. So sollte es sein, sagt einem das Theater, so solltest du reden, so dich halten, so fühlen, so wäre es, ein wahrer Mensch zu sein.
In the Bauhaus Manifesto Walter Gropius stated that ‘[a]rchitects, sculptors, painters, […] all must return to craftsmanship! […] There is no essential difference between the artist and the artisan. The artist is an exalted artisan. Merciful heaven, in rare moments of illumination beyond man’s will, may allow art to blossom from the work of his hand, but the foundations of proficiency are indispensable to every artist’ (Weimar, 1919). This expressionist quote bears witness to a disbelief in technology, this was then in reaction to the unmediated horrors of WWI. Later, in the Principles of Bauhaus Production (Dessau, 1926) Gropius departed from the Arts & Crafts credo and pleaded for strong unity with technology, incorporating industrial progress into the school’s design thinking. As a result, the Bauhaus movements’ approach to democratic design has made global history as a German export hit; in its spirit, other design schools, e.g. Black Mountain College, came into being and multinational corporations, e.g. IKEA, spread ready-to-assemble furniture all over the world. It is also the name giver to the German self-service hardware store BAUHAUS, founded in 1960. This was during the early days of the Digital Revolution, paralleled by the rise of DIY culture in the Western world. Thus a certain utopian idea from the early 20th Century has successfully descended into today’s reality.
In Buck’s work, the utopian character of traditional crafting encounters the contemporary living conditions of a digital nomad. The choice of classic building materials, like terracotta, (wire enforced) glass and steel, predetermine the set of possibilities for the shaping and emergence of new objects. Material knowledge is used as an essential precondition for thinking with and creating through the hands, understood as a sensory extension of the artist’s mind – a significant anthropological constant throughout human history.
Also Octopus vulgaris – one of the oldest living creatures – literally thinks with its hands or arms: Each of its eight tentacles is equipped with a cloud of neurons that builds-up different brain fields. Belonging to the Cephalopod species, this soft-bodied sea animal emerged in the history of evolution 550 Million years ago, on the cusp of the Cambrian. Since then the octopus is a mediator between worlds, communicating between the shallow seawater and the deep sea, one of the most unexplored and pristine territories on Planet Earth, symbolic of the human subconsciousness. This solitary animal is a maverick, endowed with three hearts, reason, memory, and personality. It is capable of camouflaging itself, adapting not only its skin colour and texture, but also its body shape and behaviour; a complex organism with no clear brain-body boundary. Diving into its habitat is like diving into the origin of us all, as Peter Godfrey-Smith recently put in his book Other Minds. The Octopus, the Sea and the Deep Origins of Consciousness (New York, 2016), in which the author tries to assess their intelligence and challenges science to re-frame its understanding of the human brains. Correspondingly, the octopus has become an object of investigation in recent developments in robotics.
The symbolism of the octopus is manifold. Its overall Gestalt, its shape and character is soft and fluid. Lined with countless suction cups, the ceaseless movement of the intangible tentacles embraces the observer with its mystical, and possibly lethal beauty. Throughout art history, the octopus conveys indefinite erotic imaginaries, for instance in The Dream of the Fisherman’s Wife, a woodblock print by the Japanese artist Hokusai (1814). Thus, it can be interpreted as an allegory of female dreaming, representing an embodiment of the stream of consciousness method; reactive, intuitive, associative, and of a sensuous-rational nature. Not least, it is said, that the tentacles motif has been inspirational for the characteristic design of the ancient Minoan labyrinth. This is one of the most legendary architectural structures in Greek mythology, keeping the Minotaur imprisoned and proving Ariadne’s ingenuity.
The symbol X is universal. Although it is frequently used to indicate a concept of negation, refusing, dividing, or terminating something, it has much more power as a positive sign: Primarily it symbolizes the union of two things, expresses their interconnectedness, or multiplication, lately used in netspeak as symbol for kissing. It is an indicator, identifier, mark or placeholder, often representing the unknown, e.g. locating the final destination on a map, where the treasure is buried. Altogether X stands for the crossing of boundaries, as it is the ancient symbol for change and transformation. It is also Osiris’ symbol, the Egyptian god of the afterlife, and underworld, the god of resurrection. In pagan belief, witches cross fingers to focus and hold magical or demonic energy at the point of intersection. This was thought to mark a concentration of good spirits and served to anchor a wish until it could come true. In genetics, without the X-chromosome there’s hardly life, and the double-X designates the female cell. Not least, the X-axis represents the horizontal in the coordinate system.
In the exhibition, the X also stands for the multiple interconnections and mutual enhancement of the material when combined with artistic energy. The pieces are corpora delicti of a specific moment in time, historically and biographically, a synthesis of the artist’s personal anthropological archive. Aesthetically the objects amalgamate the ascetic, functionalist Bauhaus style with a post-modern idea of a networked world-organism. The deployed technologies, such as sandblasting, iron bending, and clay firing correspond to the classical elements earth, wind, and fire, and hence convey an archaic understanding of the world, when senses were essential for survival. As in Plato’s Timaeus (360 BC) where the creation of the world’s soul is manifested in the letter X.
Durch die halbgeschlossenen Kastenfenster meiner Wohnung dringen leise Klänge einer überschaubaren Balkonparty aus dem gegenüberliegenden Haus. Wenige Stimmen singen in Gitarrenbegleitung den Song Jolene von Dolly Parton. Der Gesang klingt wie eine schüchtern simulierte Wochenendnormalität. Es ist Freitagabend und kalt — 23:00, 0 °C — der Monat März nähert sich seinem Ende. Ich erinnere mich dunkel, dass ich solche Klänge zuletzt im vergangenen Sommer gehört habe. Die Gesellschaft wünscht sich den bevorstehenden Sommer mit sanfter Ungeduld herbei.
Currently, the world is in the middle of a decisive turning point, and so is Europe and the EU (Assmann, 2018; Fischer, 2019). The time is ripe for a reflection and revision of dysfunctional institutional structures on the European level, not least for the sake of the survival of our planet Earth. It seems the climate crisis is merely acknowledged, but only ineffectually addressed, because the capitalist system as a whole would have to be rethought in order to combat the problem with real effectiveness — and this touches upon issues of redistribution of power structures not only in the EU but in the entire world (Mason, 2015; Lessenich, 2016). SARS-CoV-2 can also be understood as a sub-crisis of the climate crisis, i.e. symptomatic of a weakened ecosystem (Bernstein, 2019; UNEP, 2020). It is a great challenge to make the post-pandemic reconstruction process socially just and ecologically sustainable, and it is only conceivable in connection with climate protection and justice (Martin, 2020). Rapid social change is of the utmost climatic urgency. [And architecture can contribute.]
Das Umherirren in fremden Gebäuden, z. B. um zu einem Seminarraum zu eilen, fand in den letzten Monaten ein jähes Ende. Heute geht es zur richtigen Zeit (via Link) zum richtigen virtuellen Raum, den man sich in den 1990er Jahren noch weitaus aufregender, weniger dröge-pragmatisch vorgestellt hatte. Digitale Räumlichkeiten tun sich derzeit viele auf, z. B. für interne Besprechungen und Seminare an der Uni, Organisationsmeetings mit dem Verein, öffentliche Gesprächsrunden oder Treffen und Feierlichkeiten mit Freund*innen/Bekannten am Abend. Man muss sich nicht mehr in die Atmosphäre eines Ortes oder die anfängliche Stimmung eines Raumes hineinspüren, sondern sich lediglich über die unterschiedlichen User Interfaces informieren: Wie läßt sich das Mikrofon, die Web-Cam und das Teilen des Bildschirms steuern, welche zusätzlichen Plugins kann man einsetzen? Die Unsicherheit geht von der Technik aus, Spielertypen haben es dieser Tage leichter. Fair enough. Die Realität reduziert sich auf den eigenen Schreibtisch, den immergleichen mit Menschenantlitzen gekachelten Monitor. Die allgemeine Organisation läuft weiter, es wird besprochen, geplant, verhandelt, vorsichtig terminiert und all das mit dem Wunsch nach Besserung, aber wie sieht dieser aus? Vielleicht begegnet man sich im Sommer in Hamburg, Köln, München oder Stuttgart, vielleicht aber auch nur online oder wird es doch ein hybrid-Format, das genuine Zusammenkünfte kolportiert. Dabei Plan B, C, D immer schon im Hinterkopf, zeitlich und konzeptionell.
Es gibt zur Zeit ein Überangebot virtueller Veranstaltungen. Man könnte den Tag nahtlos damit zubringen der Online-Präsenz mitteilungsbedürftiger Menschen zuzuhören und zuzusehen. Nie war das Bildungsangebot so horizontal, nie war meine Lust darauf so gering. Die öffentlichen Gesprächsreihen sind so vielzählig, dass es positiv auffällt, wenn eine Institution sich in Enthaltung übt, d. h. die gewonnene Zeit möglicherweise zur Reflexion nutzt, um der post-Corona-Phase mit frischem Geist zu begegnen. Wahrzunehmen ist bereits eine neue Offenheit bzw. Durchlässigkeit des Diskurses, insbesondere gegenüber neuen Formaten (online und offline), aber auch gegenüber der Infragestellung des eigenen Tuns und dem Wille zur experimentellen Zusammenarbeit. Ich hege die Hoffnung, dass in dieser Phase des Rückzugs viele Dinge im privaten bzw. nicht-öffentlichen Raum sich entwickeln und entstehen, utopische Hoffnungen geschult werden, die die post-Corona-Kultur prägen können. Die Welt könnte eine andere werden. Es ist eine Zeit des Mutes, in der man tun sollte, wozu man sich berufen fühlt, im Kleinen wie im Großen. Wenn die Energien nicht in Organisationsfragen (Familie, Arbeit, Gesundheit) abgeflossen sind, werden sie vielleicht genutzt, um vieles, was vorher schon nicht funktioniert hat umzubauen. Ob es ein Danach überhaupt geben wird, in der der aufgestaute Lebenshunger sich bahnbrechen kann, bleibt abzuwarten. Für die nächste Pandemie ist die Gesellschaft nun jedenfalls mental gewappnet oder zumindest digital gerüstet.
Die Architektur ist so vielgestaltig wie der Mensch. Gleich und anders. Zum Lemma “Architektur” (Kritisches Wörterbuch, Merve Verlag, 2005 [Frz. 1929]) schreibt Georges Bataille:
Die Architektur ist der Ausdruck des Wesens der Gesellschaften, in der gleichen Weise, wie das menschliche Gesicht der Ausdruck des Wesens der Individuen ist. Dieser Vergleich gilt jedoch vor allem in bezug auf die Physiognomie von Amtspersonen (Prälaten, Richter, Admiräle). In der Tat, nur das Ideale Wesen der Gesellschaft, dasjenige, das mit Gewalt gebietet und verbietet, drückt sich in den eigentlichen baulichen Kompositionen aus. So erheben sich die großen bedeutenden Bauwerke wie Deiche und setzen allen trüben Elementen die Logik der Hoheit und der Gewalt entgegen: In der Form von Kathedralen und Palästen richten sich Kirche und Staat an die Vielheiten und zwingen diesen Ruhe auf. In der Tat ist offensichtlich, daß die Monumente die soziale Weisheit und häufig selbst eine echte Angst anregen. Die Erstürmung der Bastille ist ein Sinnbild für diese Lage der Dinge: Es ist schwierig, diese Massenbewegung anders zu erklären, als durch die Feindseligkeit des Volkes gegen die Bauwerke, die seine wahren Gebieter sind.
[…]
Im übrigen ist es offensichtlich, daß die dem Stein aufgezwungene mathematische Anordnung nichts anderes darstellt als die Vollendung einer Entwicklung der irdischen Formen, denen in der biologischen Ordnung durch den Übergang von der affenähnlichen zur menschlichen Form, die bereits alle Elemente der Architektur darbietet, Sinn zukommt. Die Menschen bilden im morphologischen Prozeß offenbar lediglich eine mittlere Etappe zwischen den Affen und den großen Gebäuden. Die Formen sind zunehmend statisch geworden, zunehmend herrschend. Eigentlich ist die menschliche Ordnung von Anbeginn mit der architekturalen Ordnung innerlich verbunden, wobei diese nichts anderes als die Fortentwicklung jener ist. Wenn man die Architektur verantworklich macht, deren gewaltige Erzeugnisse gegenwärtig die wahren Herren auf der ganzen Erde sind und in ihrem Schatten die unterwürfigen Massen zusammenfassen, Bewunderung und Erstaunen einflößen, Ordnung und Zwang durchsetzen, dann macht man in gewisser Weise den Menschen verantwortlich. Ein ganzes irdisches Treiben, und zweifelsohne das glänzendste in der Geisteswelt, bewegt sich übrigens gegenwärtig in diese Richtung und prangert die Unzulänglichkeit der menschlichen Vorherrschaft an: So seltsam dies angesichts einer so eleganten Schöpfung wie des menschlichen Wesens scheinen mag, auf diese Weise öffnet sich ein […] Weg zur viehischen Abscheulichkeit; als ob es keine anderen Aussichten gäbe, der architekturalen Galeere zu entrinnen.
Ein Jahreswechsel regt zur Reflexion an. Der Monat Januar entlehnt seinen Namen dem Gott Janus, dem Zwei-gesichtigen, der gleichermaßen zurück wie nach vorne schaut bzw. sich ambivalent oder gar doppelmoralisch verhält.
Neujahrsvorsätze haben meistens etwas mit “im Leben aufräumen” zu tun. Aufräumen läßt sich – je nach Dringlichkeit – Diverses: Körper und Wohnung, Geist und Gedanken, Bedürfnisse und Wünsche, Beziehungen zu Menschen und Verhältnisse zu Dingen, politische Ideologien und gesellschaftliche Vorurteile, persönliche Arbeitsweisen und Karrierebestrebungen, das Chaos digitaler und analoger Archive — man könnte das alles mal neu sortieren. Dann oder wann. Aber warum genau jetzt? Ist Veränderung – um ein Klischee zu bemühen – nicht das einzig Beständige in dieser Welt?
Die Idee von Neujahrsvorsätzen war mir immer schon schleierhaft, gar fremd. Weshalb sollte man sich im neuen Jahr – psychoanalytisch betrachtet – anders als im Jahr zuvor verhalten (müssen/können)? Das Jahr wechselt. Aber ich bleibe. Der Mensch bleibt. Menschen bleiben wie sie sind. Sind gar gute Absichten eine christliche Erfindung, die den vermeintlichen Weg zum Himmel pflastern bzw. eher den zur Hölle, weil man sie programmatisch bricht?
OUT NOW//GERADE ERSCHIENEN — pünktlich zum Ausklang eines wahrlich ver-rückten Jahres! In diesem Buch stecken unzählbar viele Stunden hingebungsvoller Arbeit über Jahre hinweg, alles für einen hoffnungsvollen Blick auf die Welt und ja, auch auf die Architektur. Und jetzt, sehr große Freude! Kauft das Buch und unterstützt mich oder ladet es herunter und unterstützt die Idee!
Das utopische Moment architektonischer Minimaltechniken
Nachdem die Utopie mit dem Eintritt in die »Postmoderne« ab 1968 allmählich in Verruf geriet, zeigt sich in den gegenwärtigen kulturellen Diskursen ihre Rückkehr. Der Tief- und Wendepunkt dieser Entwicklung wird vom Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989/91 markiert. Sandra Meireis stellt für das architektonische Feld die zentrale Hypothese auf, dass sich eine Wiederkehr der Utopie in Form pluraler Mikro-Utopien beobachten lässt. Darüber hinaus zeigt sie auf, dass die Utopie als geschichtsphilosophisches Modell gesellschaftlichen Wandlungen unterliegt und mithin die spätmoderne Tendenz der kulturellen Partikularität reflektiert.
Das Schreiben ist ein Mythos. Es gibt ganze Abhandlungen über erste und letzte Sätze in der Literatur, Bücher über die Schreib-, Lese- und Lebensgewohnheiten von Schriftsteller*innen und Autor*innen. Schreiben findet meist dann und/oder an jenen Stellen statt, die ungeklärte Fragen aufwerfen, zu denen der*die Schreibende ambivalent steht, die bisweilen weh tun … dort, wo Klarheit nottut, um weiter und weiter und weiter denken zu können. Auch dem akademischen Schreiben würde es gut tun, wenn das mal explizit zur Sprache käme, d. h. als lebendiger Alltagsumstand wahr- und ernstgenommen würde. Gerade wenn man beim Schreiben (bedingt) autodidaktisch vorgeht, machen Schreibhilfen und/oder Abhandlungen zu und über die „richtige Wahl“ der geschriebenen Sprache Sinn; dazu eine (persönliche) Liste von Klassikern und neuen Büchern zu und über das Schreiben:
Becker, Howard S. (2000 [Engl. 1986]) Die Kunst des professionellen Schreibens. Ein Leitfaden für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Campus, Frankfurt/M.
Benjamin, Walter (2019 [zuerst 1916]) Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen. Hrsg. v. Fred Lönker. Reclam, Stuttgart
Cahn, Miriam (2019) Das zornige Schreiben. Hatje Cantz, Stuttgart
Dörrie, Doris (2019) Leben, schreiben, atmen. Eine Einladung zum Schreiben. Diogenes, Zürich
Eco, Umberto (1998 [Ital. 1977]) Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. UTB, C.F.Müller, Heidelberg
Engel, Eduard (2016 [zuerst 1911]) Deutsche Stilkunst. 2 Bde. Die Andere Bibliothek, Berlin
Glotz, Peter u. Langenbucher, Wolfgang (1969) Der mißachtete Leser. Zur Kritik der deutschen Presse. Reinhard Fischer, München
Goldberg, Natalie (2010 [1986]) Writing Down the Bones. Freeing the Writer Within. Shambhala, Boston/Mass.
Gümüsay, Kübra (2020) Sprache und Sein. Hanser, Berlin
King, Stephen (2000) On Writing. A Memoir of the Craft. Hodder & Stoughton, London/UK
Kittler, Friedrich, Kojève, Alexandre u. Strauss, Leo (2009) Die Kunst des Schreibens. Hrsg. v. Andreas Hiepko. Merve, Berlin
Kleist, Heinrich von (1805) Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. Projekt Gutenberg
Maar, Michael (2020) Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
Miller, Norbert (Hrsg.) (1965) Romananfänge. Versuch zu einer Poetik des Romans. Literarisches Colloquium, Berlin
Ortheil, Hanns-Josef (2017) Mit dem Schreiben anfangen. Fingerübungen des kreativen Schreibens. Duden, Berlin
Orwell, George (1946) Politics and the English Language. The Orwell Foundation
Pfaller, Robert (2020) Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form. Fischer, Frankfurt/M.
Preiwuß, Kerstin (2019) Das Komma und das Und. Eine Liebeserklärung an die Sprache. Duden, Berlin
Reiners, Ludwig (2011 [zuerst 1951]) Stilfibel. Der sichere Weg zum guten Deutsch. DTV, München
Schlie, Tania (2019) Wo Frauen ihre Bücher schreiben. Thiele & Brandstätter, Wien
Schneider, Wolf (2001 [zuerst 1984]) Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil. Goldmann, München
Schopenhauer, Arthur (2003 [zuerst 1913]) Ueber Schriftstellerei und Stil. Alexander Verlag, Berlin
Sklovskij, Viktor (1916) Die Kunst als Verfahren, S. 3-35. In: Jurij Striedter (Hrsg.) (1971) Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Fink, München
Sontag, Susan u. Rieff, David (2013) Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke: Tagebücher 1964-1980. Hanser, München
Stein, Sol (2015 [Engl. 1995]) Über das Schreiben. Autorenhaus, Berlin
Strunk Jr., William (2018 [zuerst 1918]) The Elements of Style. Spectrum Ink Publishing
Svenungsson, Jan (2012) Ein Künstler-Text-Buch. Edition Angewandte. Springer, Wien
Textor, A.M. (2014 [zuerst 1962]) Sag es treffender. Das Synonym-Wörterbuch. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
Williams, Joseph M. (2015 [zuerst 1981]) Style: Ten Lessons in Clarity and Grace. Pearson, London/UK
Den deutschen Osten erlebe ich seit jeher aus bundesrepublikanischer Perspektive. Aufgewachsen bin ich am “anderen Ende” der Luftbrücke, d. h. nahe bei Wiesbaden. Meine ersten Erinnerungen sind sprachlicher Natur. Meine hessische Großmutter raunte hin und wieder, dass sie ein Paket für die Ostzone schnüre oder dass bald Besuch aus jener Zone komme. Ich hatte keine Ahnung, was das sein soll … diese nebulös umschriebene Zone im Osten. Welche Zone, welcher Osten überhaupt? Erklärt wurde es mir nicht, jedenfalls nicht kindgerecht. Erklärungen gingen in der Banalität des Alltags unter, mutmaßlich schlicht deshalb, weil es keine einfachen Antworten auf die kindlichen Fragen gab. Der Westen war der Westen, der Osten war der Osten, weshalb sollte man sich da aufreiben? Die USA war der demokratische Freund/Geburtshelfer, die UdSSR der kommunistische Gegenspieler/Feindbild. Kalter Krieg halt. So einfach war die Realität in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Lagerdenken, was hat man als Kind damit zu tun? Als die Mauer fiel wurde ich gerade neun Jahre alt.
Mitte der 1990er Jahre schien mir meine Generation, nein, die ganze Gesellschaft, unerträglich unpolitisch, dabei stand damals schon Einiges zu befürchten! Ich war politisch aufgewühlt, jedenfalls musikalisch. Die Bands meiner Wahl sangen von toten Wäldern, saurem Regen, verseuchten Flüssen (baahhhh), über das Ozonloch, über eine ökonomisch bald verspielte Zukunft und über die strukturell (nicht de-)installierten Nazis … aber ja, irgendwie interessierten die Narrative der westdeutschen Jugend auf dem parlamentarischen Parkett niemanden so recht, hm. Die Dinge gingen ihren Gang.
Und nun? Ich lebe seit fast 10 Jahren im deutschen Osten, genauer gesagt in Berlin (City West), wohne im roten Wedding und arbeite im bürgerlichen Charlottenburg. Herrjemine. Berliner Freiheitlichkeit, immer noch! Vor einer ganzen Weile hatte ich mich mal in einen Mann, der in Chemnitz (ehemals: Karl-Marx-Stadt) aufgewachsen ist, verliebt — ein typischer Ossi, so seine Selbstbeschreibung. Jener Mann hielt mir, als wir noch Kontakt hatten, des Öfteren meinen akademischen, feministisch-überformten Salon-Marxismus vor. Jetzt haben wir keinen Kontakt mehr und die Sinnhaftigkeit eines freudo-marxistischen Denkens konnte ich ihm bis dahin auch nicht näherbringen. Ich bin im Kapitalismus, nicht im Sozialismus aufgewachsen. Und ja, ich verstehe die Unterschiede und damit einhergehende biographische Prägungen mittlerweile besser und immer besser. Das betrifft vor allem eine grundsätzlich regimekritische Haltung, die bisweilen an Verfolgungswahn grenzt (u.a. AfD-Verirrung); verständlich, wenn jemand Stasi-Erfahrungen gemacht hat. Kommunismus ist für mich gegenwärtig auch nur noch eine abstrakte, akademisch-romantische Zielvorgabe; der Vergangenheit gewahr, eine totalitäre Utopie.
Ich kann die Emotionen und Enttäuschungen, die das Verschwinden eines Staates, eines ganzen Gesellschaftssystems und damit die Infragestellung eines menschlich-politischen Selbstverständnisses mit sich bringt, nur erahnen. Meiner Einschätzung nach hatte damals, systemisch bedingt, die Dimension Zeit noch einen anderen Stellenwert/Wertigkeit und wurde nicht mit dem Faktor Geld gleichgesetzt. Auch die Improvisation war ein genuiner Teil der Lebensrealität und -qualität und den alltäglichen, materiellen Dingen wurde dementsprechend eine größere Wertschätzung entgegengebracht, z.B. wurde das Reparieren dem Wegwerfen oder Neukaufen vorgezogen. Ich lese, um zu verstehen, aktuelle Reflexionen, zugegebenermaßen SPIEGEL-Bestseller, z. B. Bücher von Lutz Seiler oder Greta Taubert … all jene, durch die sich DDR-Prägungen erschließen lassen. Auch berührt mich Monika Maron und die Aufregung um ihren (stellenweise nachvollziehbaren) Rausschmiss aus dem Fischer Verlag … sprich die Diskussionen und Konsequenzen von streitbaren politisch-ästhetischen Annäherungen. Dabei immer Verletzungen durch die Dominanz der westdeutschen Arroganz im Hinterkopf. Biographien verneinen ist einfacher (und auch von schlichterem Gemüt) als sich Wahrheiten zu stellen, auch wenn sie unbequem sind, Ängste hervorrufen.
Ist das Demokratie, all jene mundtot zu machen, die eine andere Meinung haben? Aufgepasst: Cancel Culture — ein Vorwurf der Konservativen oder der Aufklärer, je nachdem. Ja? Ich zähle mich zum linken Mainstream. Komme aber immer mehr zur Überzeugung, dass auch das nicht unhinterfragt bleiben darf. Natürlich immer mit kritischem Geist. Ich wehre mich aktiv gegen alles Rechte, Faschistoide und Totalitäre, aber sollte man gerade dann nicht in der Lage sein, sich selbst zu hinterfragen, um dann im schlimmsten Falle, was man erwarten kann in den nächsten Jahren, wach zu sein, um sich mit denen zu verbünden, die sich, im besten Sinne ihres historisch-kritischen Intellekts gewahr sind?!
Es ist, auch gerade aus deutscher Perspektive, ein hochgradig sensibles Thema. Wach bleiben. Wir müssen wach bleiben. Aber wer sind wir? Deutschland, der Westen ist, kann man behaupten, eine US-amerikanische Erfindung! Ich denke auch, dass man vieles von den östlichen Bundesländern lernen kann, z. B. trotz kultureller Sinnsuche bei den Dingen zu bleiben, individuelle Authentizität, und vor allem (zwischen-)menschliche Zartheit.
Ich kann nachvollziehen, weshalb der ost-sozialisierte Mensch den west-sozialisierten Menschen stellenweise als kaum erträglich empfindet, denn seine spätkapitalistische Brutalität ist bisweilen nicht auszuhalten. Die übergriffige Performanz um den Willen der Selbstdarstellung ist oberflächlich. Manchmal erlebe ich mich gar selbst aus dieser Perspektive. Erlebe mich als dominant, über Sensibilitäten hinwegbügelnd, situativ vorlaut, verkaufs- und medienaffin; ein Antimodell zu genuiner Lebensfreude und zwischenmenschlicher Feinsinnigkeit. Jetzt habe ich mich wieder verliebt, in ein Westberliner Mauerkind — ob das nun Zufall ist?
Der Osten fühlt sich wie der zeitgenössischere Teil Deutschlands an. Mit all seinen Widersprüchen, Schwierigkeiten, aber auch seinen Experimentierfreuden in noch existierenden Freiräumen, jung, offen, neugierig. Der Westen hingegen erscheint mir dagegen wie die alte Tante, die vor langer Zeit einen Pachtvertrag mit der Deutungshoheit der Gegenwart geschlossen hat, mürrisch, selbstverliebt, verschlossen und bisweilen allzu unflexibel, um wirkliche Veränderungen willkommen zu heißen.
Ob Polarisierung nun der richtige Weg ist, darüber lasst uns streiten.
Zunächst einmal müssen wir zu verstehen versuchen, wie und warum es dazu kommt, dass die populären Klassen aus ihren Lebensumständen manchmal den Schluss ziehen, dass sie notwendigerweise der politischen Linken angehören, und manchmal, dass sie selbstverständlich zur politischen Rechten gehören. Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: die wirtschaftliche Situation (global und lokal), der Wandel der Arbeitswelt und der sozialen Beziehungen, die sich aus der Arbeit ergeben, aber auch — und ich bin geneigt zu sagen: vor allem — die Art und Weise, wie politische Diskurse und diskursive Kategorien die Konstituierung als politisches Subjekt beeinflussen. Die Parteien spielen dabei eine wichtige, fundamentale Rolle […]. Auch deshalb ist so wichtig, den Parteien und ihren Führern zu misstrauen, die stets die Tendenz haben, die Hegemonie über das politische Leben und über die Entscheidung, wo die Grenzen des legitimen politischen Feldes zu ziehen sind, an sich zu reißen.
Wir stehen damit vor der Frage, wer das Recht hat, das Wort zu ergreifen, und wer auf welche Weise an welchen politischen Entscheidungsprozessen teilnimmt — und zwar nicht nur am Erarbeiten von Lösungen, sondern bereits bei der kollektiven Diskussion darüber, welche Themen überhaupt legitim und wichtig sind und daher in Angriff genommen werden sollten. Wenn die Linke sich als unfähig erweist, einen Resonanzraum zu organisieren, wo solche Fragen diskutiert und wo die Sehnsüchte und Energien investiert werden können, dann ziehen Rechte und Rechtsradikale diese Sehnsüchte und Energien auf sich.
Das ist also die Aufgabe, vor der kritische Intellektuelle stehen: Es gilt, einen theoretischen Rahmen und eine politische Sichtweise auf die Realität zu konstruieren, die es erlauben, jene negativen Leidenschaften, die in der Gesellschaft insgesamt und insbesondere in den populären zirkulieren, zwar nicht auszumerzen — denn es wäre unmöglich —, aber doch weitgehend zu neutralisieren; Theorien und Sichtweisen, die neue Perspektiven erschließen und der Linken einen Weg in die Zukunft weisen, in der sie ihren Namen wieder verdient.
Die derzeitige Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen verkündete kürzlich ein neues Europäisches Bauhaus. Das klingt, grob besehen, erst einmal gut und klug; kritischen Geistern verlangt es jedoch lediglich ein müdes Lächeln ab.
In einem digitalen Faltblatt der EU Kommission ist zu lesen: Das neue Europäische Bauhaus wird die praktische Umsetzung des europäischen Grünen Deals vorantreiben — auf attraktive, innovative Weise, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Mit den Grundsätzen Nachhaltigkeit, Inklusivität und Ästhetik soll es den Menschen den europäischen Grünen Deal näherbringen. Jeder sollte den ökologischen Wandel sehen, fühlen und erfahren können. […] Erste Welle ab 2021, Zweite Welle 2023. {In der englischen Fassung des Factsheets klingt das deutlich besser. Anm. d. Verf.}
Auch der dänische Architekt Bjarke Ingels (BIG) will nichts weniger als den Planeten am “Zeichenbrett” retten: A unified and planet-wide approach is crucial, he believes, and architects, rather than politicians or activists, have the skills and knowledge to put together a working plan.
Das herbe Gerücht einer Weltrettung durch Architektur kursiert schon sehr lange. Bereits in den 1970er Jahren auf den Punkt gebracht, z. B. von Lucius Burckhardt:
Der Glaube, dass durch Gestaltung eine humane Umwelt hergestellt werden könne, ist einer der fundamentalen Irrtümer der Pioniere der modernen Bewegung. Die Umwelten der Menschen sind nur zu einem geringen Teil sichtbar und Gegenstand formaler Gestaltung; zu weit größerem Teil aber bestehen sie aus organisatorischen und institutionellen Faktoren. Diese zu verändern ist eine politische Aufgabe.
Der kritische Architekturdenker Philipp Oswalt äußerte in einem Gespräch dazu jüngst berechtigte Kritik: Die Verantwortungsübertragung auf die Architekt*innenschaft enthebt die Politik aus ihrer eigentlichen Funktion. Der kritische Zusammenhang von Ästhetik und Politik wird in dieser offensiven Kulturalisierungstendenz von Politik evident. Die Postmoderne lässt grüßen und die sprachlose Ohnmacht der Politik in der Globalisierungsmoderne wird deutlich.
Birk Borkason ist der Freund von Ronja Räubertochter, so geht eine der schönsten Geschichten von Astrid Lindgren. Nicht so fern von Romeo und Julia. Aber anders. Nicht bürgerlich. Entgegen dem Unbill schwedischer Wälder. Eine Liebesgeschichte, kindlich, tief, loyal und existenziell. Birk liebt Ronja. Ronja liebt Birk. Auf Zeit, aber bis dahin für immer!